Poesie der Gräser
Bilder und Texte, 2019
«Gräser, nichts als Gräser. Was ist das schon. Gras. Etwas für Kühe. Sie fressen es, wir bekommen Milch dafür. Da wir nicht so gut im Verdauen von Gras sind.
Ich schaue genauer hin. Es sind Kunstwerke, einen halben Meter hoch, wiegen sich im Wind, in blühendem Zustand. Vielgestaltige Formen, echte Ähren, Scheinähren, einfache Trauben, Doppeltrauben, Rispen, Fingerähren, Ährentrauben. Süssgräser, Sauergräser, Riedgräser, Binsen, Simsen, an die zwanzigtausend Arten. Existieren seit der Kreidezeit.
Die Süssgräser mit den meisten Ausprägungen, darunter Mais, Reis, Weizen, Hirse, Roggen, Hafer, Gerste, Dinkel, Zuckerrohr. Aber die sind hier nicht gemeint, sondern die Unaufdringlichen, die sich in Wiesen und Weiden versammeln, sich unbedeutend geben. Hundsquecke, Mäusegerste, Hühnerhirse, Blaugras, grosse Kammschmiele, nickendes Perlgras, Flaumhafer, wehrlose Trespe, flutender Schwaden, Zittergras, Sumpfreis, Pfeifengras, wolliges Honiggras, Knollen-Rispengras, kleines Liebesgras, Hunds-Straussgras, Mäuseschwanz-Schwingel.
Grün dominiert. Wegen der Kühe vielleicht. Doch hier sind zurzeit keine Kühe. Ich studiere die Blüten, suche die Unterschiede, komme an kein Ende.»
(Aus «Der Hochsitz», in: Tongasoa)